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Wie ernst wol­len wir die StVO neh­men?

Im Berliner „Tagesspiegel“ gibt es eine Kolumne, die Leser zu Fragen richtigen Verhaltens im zwischenmenschlichen Bereich berät. Dort hat neulich eine Leserin beklagt, dass sich vor der Kita in ihrer Nähe jeden Morgen wilde Szenen abspielen.

Da wird auf der Fahrbahn gehalten, da werde Einfahrten zugestellt und andere Dinge, die jeder vor der Kita seiner Wahl selbst beobachten kann. Die Leserin wollte wissen, ob sie denn mal das Ordnungsamt einschalten soll und wurde dafür von der Journalistin übel angeschossen: Sie sei „entsetzt“, dass man hier die Ordnung durchsetzen wolle, vielmehr könne man sich doch an dem bunten Treiben erfreuen und müsse Verständnis für die Eile der Eltern haben.

Ich habe in einem Brief an die Autorin darauf hingewiesen, dass das Verhalten der Eltern hier durchaus nicht lustig ist, sondern die Sicherheit gefährdet. Ich frage mich auch, ob wir dann zu schnell fahrende Mütter auch gut finden sollen, wenn sie nur in Eile sind und damit eine Begründung haben.

Hier wird eins der Hauptprobleme der heutigen Verkehrsmoral angesprochen: Das um sich greifende Opportunitätsprinzip. Jeder sucht sich aus der StVO die Paragraphen heraus, die seinen Interessen dienlich sind und missachtet andere, wenn sie den Interessen zu wieder laufen. Interessanterweise haben die meisten Leser im Internet ähnlich wie ich argumentiert. Es gab aber auch andere Stimmen, die fanden, dass es im (wohl eher südeuropäischen) Ausland mit entspannterem Umgang mit den Verkehrsgesetzen auch gut läuft.

Liebe Leute: Das ist ein Irrtum. Die Opferzahlen in diesen Ländern streben wir nicht wirklich an!

Gleiches Thema, anderes Beispiel. Kürzlich sagte ich in einem Interview, dass die Straßenverkehrsordnung von ihrer ganzen Mechanik her auf den Schutz schwächerer Verkehrsteilnehmer gegen die stärkeren ausgerichtet ist. Deshalb sollten gerade Radfahrer sie nicht gering schätzen. Daraufhin schrieb mir ein Herr, dass er als Fahrradfahrer versuche, die Regeln einzuhalten, dies ihn aber gefährde, weil ständig Autofahrer sich nicht an die Regeln hielten. Da ich auch gelegentlich mit dem Rad fahre, kann ich das bestätigen. Es spricht nur nicht gegen meine These. Im Gegenteil: Wir müssen dringend für eine bessere (am besten hundertprozentige) Regelbefolgung auch durch Autofahrer sorgen und in diesem Sinne gesellschaftlichen Druck entfalten.

Wenn Radfahrer (und längst auch Fußgänger) stattdessen die unbefriedigenden Zustände zur Begründung nehmen, nun selbst die StVO nach ihren Bedürfnissen kreativ auszulegen, setzen sie damit eine Abwärtsspirale in Gang, an deren Ende die schwächeren Verkehrsteilnehmer die Unterlegenen sein werden. In Rom kann man Ansätze davon schon besichtigen. Ob sie wollen oder nicht (Gruppendruck von hinten zwingt dazu), Sie müssen bei noch roter Ampel als Autofahrer in dem Moment losfahren, in dem die Fußgängerampel rot wird. Die sogenannten Räumzeiten haben aber natürlich ihren Sinn: Sie schützen langsamere Fußgänger (unsere Gesellschaft altert!) und den abbiegenden Verkehr. An diesen Räumzeiten vergreifen sich ja schon jetzt bei uns diejenigen, die noch bei sattem Rot über die Kreuzung fahren, weil ja der Querverkehr noch nicht kommt.

Ich weiß nicht ob solche Art fröhlicher Anarchie der eingangs erwähnten Journalistin vorschwebt. Ich bin mir aber ganz sicher: Wenn wir dieser Entwicklung nicht Einhalt gebieten, werden die Verkehrsopferzahlen bald wieder steigen. Und in den meisten Fällen werden die Betroffenen dann nicht im Auto sitzen.

Was meinen Sie: Soll die StVO unbedingt gelten und durchgesetzt werden oder können wir das Ganze auch entspannt handhaben?

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