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Tempo 30 in Städ­ten?

Der Vorschlag des Sachverständigenrats der Bundesregierung, Regel und Ausnahme in Städten umzukehren, erfreut sich inzwischen breiter Beliebtheit. Skeptikern wird der Gedanke versüßt, indem klargestellt wird, es würde sich gar nicht viel ändern: Das Hauptstraßennetz soll weiterhin mit 50 km/h befahren werden dürfen, nur muss es eben dann so beschildert werden.

Dafür fallen dann in allen bisherigen 30 km/h-Bereichen die Schilder weg. Nehmen wir mal an, das soll nicht nur die Zwischenetappe sein zu einem flächendeckenden Tempo 30, welche Vor- oder Nachteile erwarten uns dann?

Unter der Prämisse, dass die Geschwindigkeiten tatsächlich deutlich sinken, ist ja schon mal eines klar: Bei Kollisionen wird die Aufprallenergie auf jeden Fall geringer, viele Unfälle werden gar nicht stattfinden, weil Reaktions- und Bremswege sich deutlich verkürzen. Das ist zwar eine Binsenweisheit, aber durchaus nicht jedem klar. Die Radfahrer, deren Lobby das gerade am stärksten fordert, würden übrigens vergleichsweise am Wenigsten profitieren: Die Hauptunfallart zwischen Rad und Kraftfahrzeug ist der Abbiegeunfall, bei dem die Geschwindigkeit des Kfz fast immer deutlich unter 30 km/h liegt. Hauptnutznießer wären Fußgänger, die überwiegend beim Queren der Fahrbahn mit Fahrzeugen kollidieren.

Trotzdem vermag ich das nicht nur positiv zu sehen, denn entscheidend sind natürlich nicht angeordnete Geschwindigkeiten, sondern tatsächlich gefahrene. Schilder haben auch einen Appell-Charakter: Wir wissen zum Beispiel, dass beschilderte 80 km/h auf Landstraßen deutlich besser befolgt werden als die unbeschilderten 100 km/h. Ich erwarte daher, dass die Missachtung, die schon heute in 30-Bereichen verbreitet ist, nicht nur der Menge nach, sondern auch der Höhe nach dann eher zunimmt.

Erreicht hätten wir also nicht mehr Sicherheit, sondern mehr Unsicherheit. Denn auch das ist ja eine Binsenweisheit: Entscheidend für die gewählte Geschwindigkeit ist vor allem die bauliche Gestaltung der Straße. Es ist aber doch nicht zu erwarten, dass hier zusätzliche Mittel bereitgestellt werden. Mir ist es daher viel lieber, wenn ein ordentlicher Bürgerdialog und ein ordentlicher Planungsprozess dazu führen, dass in Bereichen mit besonderem Radverkehrs- oder Fußgängeraufkommen die passende und dann hoffentlich auch breit akzeptierte Lösung gefunden und optimal umgesetzt wird. Sollten dadurch vermehrt Verkehrsflächen nur noch mit 30 km/h oder weniger (Begegnungszonen!) befahren werden, ist das doch ein größerer Erfolg, als eine Regel-Ausnahme-Umkehrung, die nur auf dem Papier steht.

Für die Leute, die das jetzt alles nicht interessiert, weil sie eigentlich doch das flächendeckende Tempo 30 zum Ziel haben: Die Richtung stimmt, denn die Beruhigungspille, es würde sich ja faktisch nicht viel ändern, ist nur ein Placebo. Regel-Ausnahme-Umkehrung bedeutet ja, dass bei der Anordnung bzw. späteren Klagen dargelegt werden müsste, dass Tempo 50 nicht zu Nachteilen in der Verkehrssicherheit führt. Dieser Nachweis dürfte nicht oft gelingen. Ich bin deshalb dafür, dies auch offen auszusprechen und einen gesellschaftlichen Konsens aller Verkehrsteilnehmer dafür zu suchen.  Den sehe ich aber auf lange Sicht nicht.

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