Blog
Blog

Helmpf­licht für Rad­fah­rer?

Vorab eine Klarstellung: Ich diskutiere hier nur Sicherheitsargumente. Ob eine Radhelmpflicht die Nutzung des Fahrrads als ökologisch gesehen dem Auto vorzuziehenden Verkehrsmittel einschränken würde, ist ein anderes Thema.

Diese Befürchtung ist beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club (ADFC) so übermächtig, dass sich meiner Meinung nach die Argumente nach dem Ziel richten, die Radhelmpflicht auf jeden Fall zu verhindern. Die Argumentationskette des ADFC, die auf verschlungenem Wege die Helmpflicht ablehnt, das freiwillige Tragen aber unbedingt empfiehlt, überlasse ich jedem zur eigenen Beurteilung.

Ausländische Studien schwer übertragbar

Nun aber zur Sicherheit: Ich war Mitglied der Arbeitsgruppe, die der Thüringer Verkehrsminister Carius im Jahr 2010 einberufen hatte. Das möchte ich übrigens an dieser Stelle mal loben: Die Reihenfolge Denken, Zuhören und dann Reden ist ja kein durchgängiges Prinzip im politischen Raum. Allerdings, und damit Ende des Lobes, hat er dann entgegen der Ergebnisse der AG doch eine Helmpflicht gefordert. Kurz gefasst die Ergebnisse: In Deutschland gibt es keine Studie, die eine Helmpflicht begründen könnte und die ausländischen Studien, die sich die Gruppe angesehen hat, waren methodisch nicht sauber oder/und auf Deutschland nicht übertragbar. Letztlich entscheidend war aber das Argument, dass es sich hier um einen beachtlichen Eingriff in die Grundrechte handeln würde, der vor dem Hintergrund mangelnder wissenschaftlicher Evidenz unverhältnismäßig wäre.

Und da dreht es sich im Kreis: Methodisch gesehen brauchen wir um die Wirksamkeit von Radhelmen im realen Unfallgeschehen belegen zu können, ausreichend große Vergleichsgruppen von verunfallten Helmträgern und Nicht-Helmträgern. Die kann es aber angesichts einer je nach Stadt und Region um die 10 Prozent schwankenden Helmtragequote nicht geben. Erschwerend kommt hinzu, dass die Polizei nur einen Teil des Unfallgeschehens erfasst. Von Alleinunfällen und Kollisionen von Radfahrern untereinander erfährt die Polizei in der Regel nichts, jedenfalls solange dabei keine Person schwer verletzt wird.

Hohe Dunkelziffer bei Radfahrunfällen

Wir sind der Frage, wie groß diese Dunkelziffer ist, in einer gemeinsamen Studie mit der Polizei und den Kliniken der Stadt Münster nachgegangen und haben festgestellt, dass die Polizei nur etwa von jedem dritten Unfall mit einem verletzten Radfahrer erfährt. Wenn ich jetzt noch die hinzurechne, die sich vom niedergelassenen Arzt haben behandeln lassen oder ihre Wunden selbst versorgt haben, muss ich eher von einer Quote von eins zu vier ausgehen. Also nochmal als einprägsamer und in Diskussionen verwendbarer Satz: Die Zahl der im Straßenverkehr bei Unfällen verletzten Radfahrer ist etwa viermal höher, als in der amtlichen Statistik ausgewiesen.

Ergebnisse der Studie

Hier einige weitere Ergebnisse der Studie, in deren Verlauf 2.250 verletzte Radfahrer innerhalb von 12 Monaten registriert wurden. Sie beweist in Bezug auf die Schutzwirkung des Helms ebenfalls nichts, liefert aber doch Hinweise:

  • 50 % der Radfahrer waren allein verunglückt (!), 27 % mit einem Auto kollidiert, 7 % mit einem anderen Radfahrer (Rest: Hergang unbekannt)

  • Verletzungen der oberen Extremitäten: bei 36,8 %, untere Extremitäten: bei 29,9 %, Kopf: bei 25,7 % der verletzten Radfahrer

  • 101 Schädel-Hirn-Traumata, 9 Frakturen des Schädels, 62 Frakturen des Gesichtsschädels (Nasenbein, Unterkiefer...)

  • Frakturen und Schädel-Hirn-Traumata schwererer Art nur bei Nicht-Helmträgern

  • 3 getötete Radfahrer: 2 durch Überrollen einer durch Schädel-Hirn-Trauma nach Alleinsturz

Da ist nun für Befürworter und Gegner alles drin: Einerseits die schweren Kopfverletzungen nur ohne Helm, andererseits nur ein Viertel der Unfälle überhaupt mit Kopfverletzungen und von denen wiederum ein Großteil im Bereich des Gesichtsschädels, in dem der Helm nicht oder nur wenig hilft.

Fahrradhelm ja - aber freiwillig

Meine eigene Position würde ich so zusammenfassen: Nachdem ich im Selbstversuch kürzlich mit etwa 3 km/h gegen eine Glasscheibe gelaufen bin und dabei eine Gehirnerschütterung und einen übel blutenden Cut über dem Auge davongetragen habe, möchte ich einen ungeschützten Aufprall mit 20 km/h nicht erleben. Ich empfehle also auf jeden Fall, einen Fahrradhelm zu tragen (beim Radfahren, nicht beim Gehen, auch wenn dies manchmal hilfreich wäre). Für eine Helmpflicht fehlen mir belegbare Zahlen, die ein Eingreifen des Gesetzgebers erforderlich erscheinen lassen.

Was meinen Sie? Kennen Sie eventuell Studien, die uns hier weiterbringen?

Zur Startseite